Krebs-Wunderheiler oder Scharlatan?

WIENER, Februar 1991

Ein deutscher Arzt eröffnete im steirischen Burgau ein Zentrum für Neue Medizin. Seine Erkenntnisse könnten die Krebstherapien revolutionieren. Doch die internationale Schulmedizin verweigert sich – noch. Auch in Österreich – mit Boykott und Verunglimpfungen. Ein Hintergrundreport von Gerhard Kummer (Text) und Gerhard Wartha (Fotos).

Die besten Storys produziert immer das Leben selbst. So auch jene: die Frau eines steirischen Bürgermeisters litt an Leukämie. Damokles-Prognose der Klinik: todkrank. Die Frau aber kämpft weiter, sucht nach Alternativen – und entdeckt zufällig das Buch eines deutschen Arztes. Darin die These: Krebs entsteht durch Konfliktschock, ist also psychisch bedingt. Und Krebs sei – via Psyche – heilbar. Bei Leukämie nun sei das nicht anders. Die Frau glaubt, was sie liest, löst den Konflikt, die Panik verschwindet. Einige Monate später gilt sie – medizinisch gesehen – als geheilt und freut sich auch heute noch bester Gesundheit ...

Die Frau ist die Gattin des Bürgermeisters von Burgau, 1000-Einwohner-Idylle im Bezirk Fürstenfeld. Ende August vorigen Jahres klopfte es an ihre Tür. Der Mann stellt sich vor: Dr. med. Ryke Geerd Hamer. Autor eben jenes Buches. Zufällig kam der Arzt während eines Urlaubs in die oststeirische Ortschaft, sah das dort befindliche Schloß und beschloß spontan, es zu mieten. Das Immobil aus dem 12. Jahrhundert soll ein Zentrum für die sogenannte NEUE MEDIZIN werden.

Bürgermeister Hermann Wallner: "Wir fanden die neue Nutzungsidee ideal. Ich ging zum zuständigen Hofrat, erläuterte die Pläne. Er war begeistert, sprach mit Landeshauptmann Krainer!" Das Resultat: die Erlaubnis, im Schloß Kongresse und Seminare abzuhalten. Als nette Geste für die Renovierung eine kräftige finanzielle Unterstützung. Nicht übel.

Das einzige Problem dabei: man wußte nicht, ob Hamer ein Scharlatan oder ein Genie ist.

Bürgermeister Wallner

Bürgermeister Wallner aus dem steirischen Ort Burgau. Er glaubt an den Wunder-Arzt und fördert dessen "Zentrum für Neue Medizin".

Der Lösungsansatz: Hamer schlug eine internationale Ärztekonferenz auf Schloß Burgau vor. Dort sollten Ärzte aus aller Herren Länder an ihm unbekannten Patienten die Thesen der NEUEN MEDIZIN prüfen. Eingeladen auch die Professoren der Universität Graz, inklusive Dekan Prof. Dr. Helmut Tritthart und Rektor Prof. Dr. Thomas Kenner.

Und damit begann das Kesseltreiben. Denn Hamer wird von der Schulmedizin boykottiert. Seit Jahren. Man weigert sich, seine Erkenntnisse zu überprüfen. Man belegte ihn mit Berufsverbot, weil er sich weigert, der Schulmedizin zu folgen und seinen "eigenen Praktiken nicht abschwört" (Hamer). Doch jene Ärzte, darunter namhafte, die Hamers Methoden überprüften, kamen zur Einsicht: die Hamerschen Gesetzmäßigkeiten stimmen. An jedem x-beliebigen Patienten.

Die NEUE MEDIZIN könnte das medizinische Weltbild aus den Angeln heben. Schließlich sieht sie den Menschen als ganzheitliches Wesen – mit Körper, Geist, Gehirn und Seele. "Und nicht nur", so Hamer, "als krebsbefallenes Organ, das chemisch bombardiert werden muß!"

Zur Person: Hamer ist ein Arzt mit Allroundausbildung. Mit 24 hatte er zwei abgeschlossene Studien: Theologie und Medizin. Danach zwölf Semester Physik und Arbeit an diversen Uni-Kliniken. Zuständig für innere Medizin. Zwischendurch erfand er 30 ärztliche Patente. Sorgenfreies Arztleben. Bis 1978. Dann kam der Einschnitt, heftig und brutal: sein Sohn Dirk wird durch einen Querschläger aus einer Elefantenbüchse angeschossen. Vier Monate später erliegt er den Verletzungen. Der Täter ein illustrer Mann: der italienische Prinz Viktor Emanuel von Savoyen.

Hamer: "Zugleich Chef der Geheimloge P 2!" Aus Kummer über den Tod seines Sohnes erkrankte Dr. Hamer selbst an Krebs. Durch Konfliktschock. Und das brachte ihn auf die heiße Spur: Krebs wurzelt in der menschlichen Psyche. Das Dirk-Hamer-Syndrom, der Initialzünder der Krankheit. 

Dr. med. Hamer

Dr. med. Hamer: Manche halten ihn für ein Genie, manche für einen Scharlatan. Er glaubt zu wissen, wie Krebs ausgelöst wird und wie man Krebskranke heilen kann. Es gibt viele Gegner seiner Thesen – aber auch viele Bewunderer.

Hamer, damals Oberarzt an einer Münchner Krebsklinik, begann wissenschaftlich nachzuforschen. Einen Monat später setzte man ihn vor die Tür. Er forscht weiter und entdeckt - wie er meint - die Eiserne Regel des Krebses: Hamers NEUE MEDIZIN (siehe Kasten). Kein Krankheitsbild, das nicht der jungen Erkenntnis entspricht: Konflikt Krebs – Konfliktlösung – natürliche Heilung. Hamer erlebte sie am eigenen Leib. Keine Hexerei – glaubt er. Alles logisch – doch die Schulmedizin verweigert sich.

Ein Beispiel: die internationale Ärztekonferenz in Gyhum und Bremen. Hamer bot damals seine Approbation an, falls unter 200 Fällen ein einziger aus der Reihe tanzt. Alle trafen ins Schwarze. Dennoch: die Ärztelobby drückte sich.

Ein anwesender Arzt aus Frankreich: "Ab diesem Zeitpunkt geht das Gros der Krebstoten auf das Konto der Schulmedizin!"

Die panisch reagierte: mit Berufsverbot. Hamer gilt seitdem als Ketzer, als unbequemer Revoluzzer. Eine von ihm eröffnete Klinik wurde gestürmt. Die anwesenden 100 Patienten quasi zu konventioneller Chemotherapie gezwungen. Innerhalb kurzer Zeit waren alle tot.

Zum Vergleich: Ein belgischer Arzt therapiert seit einem Jahr 200 Schwerstfälle nach Hamer. Alle leben noch – sagt Hamer.

Hamer: "Mein System anzuerkennen, hieße zuzugeben, jahrelang falsch therapiert, Patientenfolter betrieben zu haben. Ich kämpfe weiter – nicht meinetwegen, sondern der Patienten wegen. Schließlich bin ich Arzt!"

Genau wie fünf namhafte österreichische Mediziner, die vor zwei Jahren sieben Patienten nach Hamer durchleuchtet haben. Resultat: jeder unterschrieb die absolute Richtigkeit des neuen Systems.

Dazu Prof. DDr. Jörg Birkmayer, bekanntester Spezialist für Krebsdiagnostik in Österreich: "Hamers Erkenntnisse stimmen – und müßten auf jeden Fall öffentlich überprüft werden!"

Doch öffentlich mit Hamer in Zusammenhang gebracht zu werden, wagt kaum einer. Zuviel steht auf dem Spiel. Zu groß der Druck der Ärztekammer.

"Obwohl", so Dr. Hamer, "die meisten Ärzte wissen, daß ich recht habe, ihre eigenen Angehörigen längst nach Hamer therapieren!"

Doch der Boykott geht weiter. Zur Zeit in Österreich. Burgau ist ein Dorn im Auge der Schulmedizin. Man hat Angst.

Prof. Dr. Kenner, Rektor der Grazer Karl-Franzens-Universität, in der Kleinen Zeitung: "Hamers Thesen nehme ich nicht ernst – nur den Zulauf, den er hat!" Und das, obwohl man seitens der Grazer Fakultät die internationale Ärztekonferenz in Burgau ignoriert, die Chance, Hamers Thesen zu widerlegen, verpaßt hat. Obwohl Dr. Kenner vor zwei Zeugen noch zugesagt hatte (1.10. '90). Danach systematischer Rückzug. Aber auch Zugeständnisse (Kleine Zeitung, 25.12. '90): "Das Phänomen Dr. Hamer ist ein Zeichen der Krankheit unserer Medizin, unseres westlichen Systems einer einseitigen, rationalen Weltsicht!"

Vom WIENER befragt, sagt Dr. Kenner: "Stimmt – vieles müßte verändert werden. Aber Dr. Hamer hat Ideen, auf die ein normaler Mensch nicht kommt. Ideen, die für manche Patienten gefährlich werden könnten!"

Was aber ist gefährlicher als der Tod?

Vorher noch, am 19. Oktober, Sperrung des Hörsaals A der Universität in letzter Minute. Begründung: Die Konsequenzen der NEUEN MEDIZIN seien nicht akzeptabel. Vielleicht auch nicht die Tatsache, daß Hamers letzter Vortrag im März einen brechend vollen Hörsaal produziert hat ...

Doch es kam zur Konferenz. Anfang Dezember. Hamers Erkenntnisse wurden wieder mal auf den Prüfstand bemüht – und hatten im Nu das Sperrfeuer der Kritik zertrümmert. Die anwesende internationale Ärzteschaft war verblüfft. Bürgermeister Wallner:

"Ein fantastisches Happening zwischen Ärzten und Patienten, Bevölkerung und Professoren. Visionen einer harmonischen, menschennahen Medizin der Zukunft! Der Hamerschen Medizin, die erschütternde Einsichten brachte."

Eine deutsche Ärztin: "Ein Verbrechen, was wir bislang gemacht haben!"

Sie unterschrieb das Protokoll. Genau wie die anderen: Hamers Regeln passen. Ob sie freilich in ihren Ländern nach Hamer heilen dürfen, bleibt - noch - fraglich. Genügte doch schon eine Konferenz, die Kritiker anzulocken. Wird doch schon ein kleiner Bürgermeister mit Zivilcourage unter Druck gesetzt. Nämlich Wallner, als Dorfhäuptling zugleich die erste Instanz der Sanitätsbehörde. Sein Vorgesetzter: der zuständige Amtsarzt, der – vermutlich von der steirischen Ärztekammer gesteuert – beinhart über die Richtlinien des Bürgermeisters wacht und laut Wallner – "mit Anzeige droht".

Wallner: "Aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann der internationale Boykott zerbricht."

Hamer, ein Mann, der erstaunliches Rückgrat beweist, spricht von moderner Inquisition: "Genau die Professores, die sich öffentlich aus Existenzangst drücken, stimmen mir privat oft vorbehaltlos zu!"

UND DAS SAGT DIE SCHULMEDIZIN

Univ.-Doz. Prim. Dr. Gerhard Baumgartner, Vorstand der 5. Medizinischen Abteilung, Krankenhaus Lainz

Krebs ist eine genetische Störung in der Zellinformation. Dadurch kommt es zu unkontrolliertem Zellwachstum. Es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten, das Problem in den Griff zu kriegen: operativ oder durch gezielte Chemo- und Strahlentherapie, die das weitere Wuchern der kranken Zellen verhindert. Dabei werden die gesunden Zellen kaum geschädigt, für den Körper kein Problem. So kann man beispielsweise Kinder mit akuter Leukämie zu 80 Prozent heilen. Das ist ein Faktum. Auch bei Erwachsenen. Den Patienten solche Therapien vorzuenthalten, grenzt an Mord. Der Patient stirbt sonst zwangsläufig.

Ich bin natürlich auch überzeugt, daß der Mensch auch ein psychisches Wesen ist, eine individuelle Persönlichkeit, die Geborgenheit braucht. Man kann doch bei jedem, wenn man will, einen Konflikt entdecken. Der gewinnt aber in der Rückschau – gerade bei Krebserkrankungen – zwangsläufig eine andere Dimension. Die ärztliche Kunst besteht aus der Verbindung von gezielter Therapie und Psycho-Betreuung. Hamer sieht die Sache total einseitig, der ganz bestimmte Auslöserkonflikt ist durch nichts nachzuweisen.

In der modernen Medizin wird der Patient ohnehin individuell behandelt. Kein 80jähriger wird behandelt wie etwa ein 30jähriger. Die Leute, die nicht geheilt werden können, erfahren durch die moderne Strahlen- bzw. Chemobehandlung zumindest eine höhere Lebensqualität, da die Krebssymptome minimalisiert werden. Diese Behandlung nicht zu geben – wie Hamer das vorschlägt – kann verheerende Folgen haben. Man nehme nur die bösartigen Lymphknotenerkrankungen – die sind durch moderne Medizin zu einem hohen Prozentsatz heilbar. Nicht aber durch ausschließlich psychische Betreuung. Ohne Penicillin kann man ja auch keine Lungenentzündung heilen. Wir lehnen natürlich auch neue, wirksame Methoden nicht ab. Aber eine Polarisierung zwischen Schul- und Alternativmedizin ist nicht sinnvoll. Dr. Hamer schlägt in eine Kerbe unserer von Technik überlasteten Zeit, nützt eine Grundstimmung in unserer Gesellschaft – tiefes Mißtrauen gegen jede Art von Technik und Chemie. Aber man kann doch nicht erblich gestörte Krebszellen durch reine Konfliktlösung wieder heilen. Absolut wichtig daher eine rechtzeitige Behandlung.

Dr. Hamer kann sich doch nicht einfach methodisch von medizinischen Erkenntnissen abkoppeln. Wenn Hamer behauptet, daß wir über das Thema, über ursächliche Zusammenhänge noch zuwenig wissen, hat er zwar recht. Aber gerade in dieser Phase sind falsche Kausalschlüsse sehr leicht möglich. Man kann doch nicht sagen, die Schifahrer sind an der Kälte schuld, die Psyche an Krebs.

Hamer-Kritiker Prof. Kenner: "Hamers Thesen nehme ich nicht ernst."

HAMERS NEUE MEDIZIN

Hamers Regeln besagen, daß Krebs aus einem psychischen Konfliktschock resultiert (unerwartete Todesnachricht, Unfall etc.). Im Gehirn entsteht daraufhin eine durch CT (Computer Tomographie) nachweisbare Veränderung – der Hamersche Herd. Die Folge: in einem ganz bestimmten Körperteil setzt Krebswachstum ein. Wo genau, bestimmt eindeutig der Herd im Gehirn, laut Hamer von der Schulmedizin in der Heilphase als Metastase oder Hirntumor verkannt. Seine diesbezüglichen wissenschaftlich-diagnostischen Tabellen bieten darüber detaillierte Übersicht. Der Heilungsprozeß wird – die Natur als perfektes System – durch die Konfliktlösung eingeleitet.

Erkenntnisse, die mittlerweile von vielen Ärzten überprüft und verifiziert wurden. Hamer:

 "Chemotherapien beeinträchtigen und ruinieren in den meisten Fällen nur den Heilungsprozeß. Der durch unpräzise Prognosen (,Sie haben noch so und so lange zu leben!') verunsicherte und weiterhin geschockte Patient ergibt sich der vermeintlich tödlichen Krankheit."

Im Gegensatz zu aufwendigen und unangenehmen Chemotherapien kostet die Hamer-Methode so gut wie nichts.