Wie Fernsehen ohne Flimmerkiste:
Stimmenhören ist qualvoll
Die Presse, 08.01.2003
Die Angst vor Stigmatisierung ist größer als vor den inneren Stimmen: Menschen mit akustischen Halluzinationen zögern oft jahrelang, sich Fachleuten anzuvertrauen. In England wird derzeit eine spezielle Form der Psychotherapie entwickelt.
VON CHRISTINA MARIA HACK
Fast jeder zehnte Mensch hört im Laufe seines Lebens Stimmen, die physikalisch nicht erklärbar sind. „Solche akustischen Halluzinationen treten zwar bei schizophrenen Psychosen häufig auf, sind aber nicht unbedingt ein Hinweis auf eine psychische Störung“, betont Univ.-Prof. Dr. Michaela Amering von der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie. „Körperliche Erkrankungen, Schlafentzug und bestimmte Drogen können genauso akustische Halluzinationen verursachen.“
Wie genau die inneren Stimmen entstehen, das wissen selbst Hirnforscher noch nicht. Gewiss ist jedoch, „dass uns das Gehirn allerhand vorspielen kann, schließlich erleben wir das ständig im Traum.“ Eine aktuelle Theorie besagt, dass es sich bei den vermeintlichen Stimmen um „Interpretationsfehler“ des Gehirns handelt: einige Gedanken werden einer äußeren Quelle zugeordnet.
„Und genauso wie man diese Fehlinterpretationen lernt, kann man sie auch wieder verlernen“, versichert die Fachärztin für Psychiatrie, die such unter anderem bei Forschungsaufenthalten in England intensiv mit dem Phänomen des Stimmenhörens befasst hat und sich auch im Rahmen von „Intervoice“, eines internationalen Netzwerkes von Fachleuten und Betroffenen, engagiert.
„Es ist wie Fernsehen ohne Fernsehapparat oder träumen ohne Schlaf“, beschreiben Irene Stratenwerth und Thomas Bock in ihrem Buch „Die Bettelkönigin. Halluzinationen“. Von den Betroffenen werden die Stimmen – oft sind es sogar mehrere gleichzeitig – als äußerst quälend empfunden. Die Botschaften der Stimmen sind manchmal völlig banal, wie etwa bei jenem 23jährigen Engländer, der immer wieder Zeilen eines aktuellen Hits hörte. Bei anderen sind es wiederum Kommentare zu Gedanken und Handlungen oder wüste Beschimpfungen.
Jedes Zweiergespräch wird unerträglich, weil immer noch die dritte Stimme dabei ist.
Um das Phänomen im Alltagsleben einordnen zu können, entwickeln Stimmenhörer die verschiedensten Theorien. Zum Beispiel reden sie sich ein, die Stimmen stammen von außerirdischen Mächten, Geheimdiensten oder Verstorbenen. Jedes Zweiergespräch wird unerträglich, weil immer noch die dritte Stimme dabei ist, und auch die Konzentration wird erheblich gestört. „Viele Stimmenhörer leiden unter starken Ängsten. Sie versuchen, durch totalen Rückzug ihren Stimmen zu entkommen oder sie lenken sich durch ständiges Musikhören ab“, erläutert Amering. Nur in den seltensten Fällen erteilen die Stimmen konkrete Anweisungen, die dann ausgeführt werden. „Das Phänomen Stimmenhören geht nicht mit einem erhöhten Risiko an Gewalttaten einher“, ist die Spezialistin für psychotherapeutische Medizin überzeugt. Menschen, die Stimmen hören, getrauen sich allerdings kaum, darüber zu sprechen: zu groß ist ihre Angst, für verrückt erklärt zu werden.
Dabei kann das Symptom Stimmenhören gut behandelt werden. „Die heute zur Verfügung stehenden Psychopharmaka können das bei psychischen Störungen bestehende Ungleichgewicht an Botenstoffen im Gehirn regulieren“, erklärt Amering. In vielen Fällen gelingt es damit, die akustischen Halluzinationen zu beseitigen. Es gibt allerdings Patienten, die auf die medikamentöse Behandlung weniger gut ansprechen und deren Stimmen bestehen bleiben.
In England wird daher an der Entwicklung einer kognitiven (wahrnehmungs- bzw. bewusstseinszentrierten) Therapie für Stimmenhörer gearbeitet. „Die auch als Störungsspezifische Psychotherapie bezeichnete Technik verhilft den Patienten zu einer besseren Einschätzung ihrer Erlebnisse und kann den durch die Stimmen verursachten Stress deutlich reduzieren.“
Mehr noch: „Es ist sogar möglich, sich aus den Stimmen und den wahnhaften Interpretationen rauszudenken“, betont Amering. Auch Tagebuch-Aufzeichnungen gehören zur Therapie: damit soll herausgefunden werden, unter welchen Bedingungen sie auftreten und wann sie schweigen.
Die Therapie selbst findet meist in Form von Gruppensitzungen statt. „Für viele ist es schon ungemein erleichternd, wenn sie erfahren, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind.“ Obwohl sich die Störungsspezifische Therapie noch in Entwicklung befindet, konnte ihre Wirksamkeit bereits gezeigt werden. Gemeinsam mit Kollegen arbeitet Amering nun daran, das englische Modell für den deutschsprachigen Raum zu adaptieren.
Wie auch bei anderen psychischen Symptomen dürfte allerdings auch beim Stimmenhören eine Kombination aus Medikamenten, Psychotherapie und Selbsthilfe am wirksamsten sein. Expertin Amering: „Die Betroffenen sollen wissen, dass Stimmenhören kein dramatisches Phänomen ist und vor allem, dass es zu bewältigen ist.“
Anmerkung H. Pilhar:
Von welchen Krankheiten weiß die Schulmedizin die Ursache?
Stimmenhören ist eine schizophrene Konstellation beider Hörrelais im Cortex.